Getürkt muss nicht schlecht sein (Türkei 1)

Türkei (1 von 1)

Liebe Leute,

lange ist er her seit ich Euch geschrieben habe. Heute schreibe ich Euch aus der Türkei. Ich bin hier weil ich für die Deutsche Forschungs Gemeinschaft einen Film über eine Gruppe aus drei Althistorikern mache, die in den antiken Städten Ephesos (nahe Selcuk), Priene und Aphrodisias Rituale der Macht untersuchen. Ihr Interesse gilt dabei Inschriften, die an den Wänden und Säulen zu finden sind. Ein Teil dieser Inschriften waren Forderungen oder Ausrufe großer Menschenmengen, die dann an prominenter Stelle für alle nachlesbar waren, und dem römischen Kaiser später weitergegeben wurden. Daraus lässt sich so Einiges über die gegenseitige Beziehung von Kaisern und Untertanen herauslesen.

Gemeinsam mit Frank mache ich diesen Film und reisen 4 Tage lang mit einer Expedition aus Archäologen, Althistorikern und Linguisten, etwa 10 Leute in der Summe. Darunter nur Doktoranden, Post-Docs (Leute die ihren Doc schon haben) und Professoren. Das wissenschaftliche Niveau ist gigantisch, zumal simpel wirkende Inschriften für die Gruppe für über mehrere Stunden Diskussionsstoff liefert. Ob Altgriechisch, Latein oder andere antike Sprachen, die Jahrtausende alten Quader werden in Sekunden durchgelesen und analysiert. Für mich und Frank ist es eine wahre Freude zuzuschauen, wie mit kindlichem Eifer und Forscherdrang diese Gruppe alles aufsaugt und für uns verständlich plastisch in Zusammenhänge artikuliert. So besuchten wir in Priene eine Ausgrabungsstelle, wo ein sensationeller Basilikenfund vom Ausgrabungsleiter gezeigt wurde, wir mitten drin. Offene Fragen, die er noch nicht lösen konnte, hat er direkt an die Expedition weitergegeben. Später kam noch ein Professor aus Frankfurt, der über seine Ausgrabungen referierte. Unglaublich… ich liebe es schon immer über Antiken Städte zu krabbeln, ob ich es nach den Erlebnissen jemals wieder so intensiv erleben kann wie früher bleibt offen.

Aber nicht nur die Erlebnisse mit den Forschern sollten meine Sicht der Welt unbeeinflusst lassen. Auch meine Sicht auf die Türkei ist nun eine komplett andere. Technisch gesehen gibt es hier keinen Unterschied zu anderen Mittelmeer Ländern wie Italien, Bulgarien oder Griechenland. Seit 2004 der deutsche TÜV hier die Autos kontrolliert und die Verkehrsstrafen drakonisch erhöht wurden hat sich wohl einiges geändert. Die Autos sind recht neu, hauptsächlich FIAT und kleine Renaults fahren hier rum. Auffällig ist, dass Bonzenautos kaum zu finden sind, bis gestern habe ich nur sechs BMW und zwei Mercedes gesehen, und das waren auch nur die „kleineren“. Strom, Wasser, Wireless LAN gibt es hier überall, sogar die Imane wurden abgeschafft und durch ein Landesweit per LAN angesteuertes System ersetzt. Sprich alle Minarette haben Lautsprecher und es wird parallel in der ganzen Türkei der gleiche Sermon ausgerufen. Ein paar findige Hacker haben vor wenigen Jahren das System geknackt und die Texte ausgetauscht, aber das ist eine andere Geschichte. Die Straßen hier sind wirklich gut, die Autobahnen drei bis vier Spurig. Die Städte sind riesig – schon fast abschreckend groß. Es ist angenehm hier Auto zu fahren, es gibt fast keine Idioten auf den Straßen. Das Wetter ist gigantisch, wir haben jeden Tag zwischen 35 und 43 Grad gehabt, aber stets trocken mit einem angenehmen Wind von der Seeseite her. Die Landschaft ist mediterran und sehr fruchtbar, viel Grün und nahezu alles agrarisch oder Urban geprägt. Nur die Hanglagen weisen Wald auf, der Rest ist bewirtschaftet. Wenn man aber zu sehr von den Hauptstraßen weg kommt, werden die Straßen gelegentlich zu Schotterpisten. Und das macht richtig Spaß! Frank hat es gefilmt und das Video wird wohl bald fertig sein.

Die Leute sind hier sehr freundlich, und Kopftücher sehe ich fast gar nicht. Die ersten beiden Tage habe ich gerademal sechs gezählt, am dritten siebzehn, da waren wir im ländlichen Raum unterwegs. Und die Frauen die eines tragen würde ich eher als Gulaschkanonen bezeichnen. Die jungen Türkinnen laufen auch gerne mal Bauchfrei rum, haben kurze Hosen an und schwimmen mit Bikini oder Badeanzug am Strand. Die Frau an der Hotelrezeption hat uns gestern Abend ungefragt auch gleich erzählt, was „ich liebe dich“ auf Türkisch heißt. Natürlich kann ich nur was über die äußerliche Form sagen, in die Köpfe kann ich nicht reinschauen. Nur läuft halt auch hier „Sex and the City“ im Fernsehen. Auf dem Weg nach Izmir haben wir im „Virgin Radio“ Drum ‚N’ Base und Techno gehört. Der Einfluss des Westens ist allgegenwärtig. Der Staat ist laizistisch und eine latente Militärdiktatur. Die Schrift ist mit lateinischen Lettern. Europäische Archäologen erforschen die alten Kulturen der Türkei. Schliemann hat hier Troja entdeckt und den Fund nach Deutschland mitgenommen. Die Türkei ist heute darüber nicht sehr glücklich, weiß sie doch um die Anziehungskraft ihrer antiken Vergangenheit. Deswegen hat jede Ausgrabung einen Wächter. Dieser begutachtet rund um die Uhr die Ausgrabungen und lässt sich Bericht erstatten. Diese werden in der Regel für 12 Wochen von ihren Polizeistationen abkommandiert und spielen Anstandsdame für die Archäologen. Ihnen wird auch indoktriniert, dass sie bei ausländischen Gräbern stets vom Schlimmsten auszugehen hätten. Da spielt das persönlich Verhältnis dieser einsamen jungen Polizisten zu den Ausgrabungsleitern natürlich ein große Rolle. Gerade wenn dieser der Einzige am Ort ist, der überhaupt türkisch kann. Denn die Wächter müssen auch bei den Ausgräbern übernachten.

Hier sind also wir Westler die Barbaren. Die Barbares, so nannten die alten Griechen alle, die nur „babababa“ gesprochen hatten, also der Hochkulturellen Sprache der Griechen nicht mächtig waren. Die Römer übernahmen dieses Konzept und das Wort dafür. Ich stelle mir Conan/Arnold Schwarzenegger vor wie er einem Griechen etwas über… „Crom is se stronges emong se gods. Bcose heee broot se humans se steeel“ erzählt. Aber wie ihn später dann der gebildete Magier erklärt, ist nicht der Stahl die mächtigste Waffe, sondern das Fleisch. So auch hier. In Bodrum, scheint es eine Art von weiblichen Sextourismus zu geben, wo Damen mittleren Alters Dinge gesagt bekommen, die sie in der Heimat schon lange nicht mehr vernommen haben. Für kleine Gefälligkeiten treffen sich hier östlicher Machismo und westliche Sexualmoral. Dieses Phänomen, dass diese Frauen hier „leicht“ zu haben seien spricht sich natürlich rum, auch wenn die Hintergründe nicht bekannt sind. Wenn sie denn einer wissen will.

Ich bin immer wieder beeindruckt, was die Menschen der Antike zu leisten fähig waren. Ob die riesigen Tempel oder Kanalisation, Wasserversorgung, Transport, Handelswege usw.. Aber auch die Sexualmoral der alten Griechen war etwas Besonderes. Es galt „Knaben für die Lußt, Frauen für die Liebe“. Da waren natürlich nicht die Ehefrauen gemeint – die sind nämlich nur für Haushalt und Kinder kriegen da – sondern die Huren. Seit der Antike sind viele Errungenschaften verloren gegangen und mussten schmerzvoll wieder entdeckt werden. Z.B. kannte man schon recht genau den Erdumfang oder wusste um die Funktion einer Dampfmaschine.

Immer wieder werde ich auf dieser Tour mit der Natur des Menschen konfrontiert. Ob es das Bedürfnis, oder besser der Trieb nach körperlicher liebe ist, oder der Drang nach Macht – die beide sehr Eng bei einander liegen – die Antike und die Gegenwart offenbaren mir die All Präsenz dieser menschlichen Fokussierung. Im Amphitheater von Aphrodisias gab es einen Thron für den Stadthalter. Rechts und links um ihn herum waren in der ersten Reihe die Plätze für die Edlen der Stadt. Der Pöbel musste von oben die Ränge besetzen, während die Edlen und Gäste über den Seiteneingang ebenerdig das Theater betraten. Hierbei schritten sie an den Ehrentafeln und eingemeißelten Sonderrechteinschriften vorbei, um Allen die herausgehobene Stellung der Stadt zu demonstrieren. Macht und Sexualität. Die Stellung der Personen wird durch ihre Sitzposition verdeutlicht. Jeder kann sie sehen. Sie sind etwas Hervorgehobenes. Ja, ich hab da gesessen. Da merkt man sofort, wie Macht gezeigt und perpetuiert wird. Wer solche Symbole der Macht an die Seite gelegt bekommt, wird auch nicht hinterfragt (wenn er sich nicht zu dämlich anstellt). So wurde in der Zeit des British Empires einem Afrikanischen Bündnisgenossen der Zwischenstopp in Rom verweigert. Man fürchtete, der Mann würde die Italiener für mächtiger halten, weil Rom die monumentalere, die eindrucksvollere Stadt sei im Vergleich zu London. Die Macht der Symbole ist auch die Macht des Unbewussten Sexualtriebs. Der Mensch ist ein Herdentier. Die Männchen unserer Artverwandten Primaten dürfen in der Regel die Weibchen der Gruppe auswählen oder haben gleich alle. Da kommen andere Männchen gerne auch mal zu kurz. Die Symbolik der Macht orientiert sich oft an der Symbolik der Sexualität. Achtet mal drauf. Die Frage die ich mir immer wieder stelle ist, ob wir dieses Dilemma in der Gegenwart überwunden haben, oder sogar verschärft. In einem Interview hat mal eine verschleierte Marokkanerin im Fernsehen mal gesagt, dass die armen westlichen Frauen sich fast nackt ausziehen müssen, und trotzdem haben sie oft keinen Mann der mit ihnen Liebe macht…

Viele Grüße aus der sonnigen Türkei,

Christoph