Wer Anderes in nächster Nähe sucht, der sollte nach Bulgarien gehen. Alles was man über Europa zu lernen geglaubt hatte, hier wird es auf den Kopf gestellt. Vor allem Auf dem Land denkt man schnell, ich bin auf einem anderen Kontinent… Und Griechenland, die Mutter unserer modernen Kultur, der Quelle unserer Philosophie, des Staatsweses und noch vielem mehr ist für Kulturfreunde ohnehin schon immer eine Reise wert.
Bulgarien / Griechenland (Teil 1 von 3)
Liebe Leute,
es ist lange her, dass ich Euch von meinen Reisen berichtet habe. Nun möchte ich Euch von meiner Reise und meinen Entdeckungen der unendlichen Tiefe der bulgarischen Seele berichten. Oder besser, so wie ich sie wahrgenommen habe. Der Grund unseres einwöchigen Aufenthaltes in Bulgarien ist, den Vater von Rossi zu treffen. Unglücklicherweise ist ihm etwas Wichtiges dazwischen gekommen, sodass wir nun ohne ihn hier sind.
So wie einst der Ethnologe Clifford Geerts anhand des traditionellen balinesischen (Baali ist eine der indonesischen Hauptinseln) Hahnenkampfes Rückschlüsse auf die Mentalität und die Lebensattitüden der Menschen schloss, so meine auch ich, dass der Umgang der Bulgaren mit ihrem Auto mehr sagt, als denen lieb sein wird.
Ein Freund von Rossi sagte mal, das schlimmste was ihm passieren könnte wäre, wenn seiner Freundin oder seinem Auto, einem weißen 3er BMW, etwas zustoßen würde. Autos spielen in der Wahrnehmung hier eine große Rolle (wie ich bereits in meinem letzten Brief über Bulgarien beschrieben hatte). Sie werden gehegt und gepflegt. Sie sind der verlängerte Arm der Identität, der wichtigste Schritt zum Selbstverständnis, modern zu sein. Der Schneider im Erdgeschoss hat sich darauf spezialisiert, Sitzbezüge zu erneuern. Er ersetzt alte Sitzbezüge und kleidet ganze Autos mit Leder aus. Gestern hat er einen Himmel neu beklebt. Die Autos des neuen, unteren Mittelstandes kommen meist aus Österreich oder aus Deutschland, gelegentlich aus Italien und werden hier wieder fit gemacht. Das Handwerk bekommt eine neue Bedeutung. Der Import von Altautos ist ein einträgliches Geschäft. Glücksforscher haben herausgefunden, dass nicht das bessere Auto die Leute glücklicher macht, sondern die stärkste Verbesserung vom alten zum neuen Standard. Diese Phase ist für einige bestimmt die glücklichste. Denn Autos sind ab da ersetzbar. Nirgendwo sehe ich das besser als beim Bruder von Rossi. Er hat nun sein siebtes Auto in vielleicht 5 Jahren. Seine Erstes war toll, ab da war aber keines, das ihn glücklicher gemacht hätte. Kein Wunder. Wer nur den Schrott der ersten Welt bekommt, der wird auf demselben, niedrigen Niveau verweilen. Sprünge sind da erst ab 50.000 Euro Fahrzeugswert merklich. Es ist bei ihm schon bemerkbar, dass das Auto seinen Glückbringenden Effekt erodiert hat. Er sucht nun nach dem perfekten Auto. Das bekommt man kaum für die Hand voll Euro, die einem hier zur Verfügung steht. Der Motor der Globalisierung ist und bleibt, das Streben nach einem besseren Leben: Konsum und Glücke, das synonym für ersteres steht. Gegenstände bekommen hierbei eine soziale Rolle. Sowohl die Selbstwahrnehmung, als auch das Lebensgefühl wird von Gegenständen kommuniziert (Wer trägt denn alles Chucks, und wer braucht wirklich eine Kamera im Telefon?).
Aber zurück zum Auto. Der Bulgare tankt im Allgemeinen so viel, dass es genau so weit reicht, wie er vor hat zu fahren. Der Deutsche macht voll, außer er ist gerade knapp bei Kasse. Was sagt uns das? Der Bulgare hat einen Plan, plant aber nicht diesen zu verlassen. Einerseits sind die Bulgaren Weltmeister im Improvisieren, in ihrer Denkart leben sie in den Tag hinein. Das Morgen ist nicht so wichtig. So werden auch Geschäfte gemacht. Die bulgarischen Produkte sind Mühe- und liebevoll gemacht. Aber selbst mir als Laie fallen oft eklatante Mängel auf, wo ich mich frage, warum man sich damit begnügt sich Muhe zu machen, aber nicht ein möglichst perfektes Produkt anstrebt. Beispiel Auto: Das Auto wird nur repariert, wenn die Fahrfähigkeit verhindert wird, nicht aber, wenn sie nur beeinträchtigt wird. Man müht sich, das Auto gut aussehen zu lassen. Es blitzt und funkelt wie eine Bordelltür. Aber die Reifen sind abgefahren…
Ein anderes Thema ist der Umgang mit den Kindern. Wer unsere Sophia kennt, der weiß, dass sie sehr bestimmt ist und ihren Lebensraum gerne erkundet. In den Augen der Bulgaren ist sie ungezogen. Hier ist das Ideal, dass die Kinder ruhig sind und “hören”. In der Innenstadt war die Sophia das einzige Kind unter sechs Jahren, das sich mit den eigenen Füssen fortbewegte. Alles andere war in einem Dreirad oder einem Kinderwagen gefangen. Besonders diese Dreiräder haben einen Bügel, de rein “flüchten” verhindert, und einen Griff für die Mutter, um das Kind zu führen. Wenn dann doch ein Kind aufmuckte, wurde es eingeschüchtert. Am Nachbarstisch in einem Kaffee sagte die Mutter, dass wenn das Kind (etwa 1,5 Jahre) nicht gehorche, dann würde der Vater ihr später die Hände brechen. Später sagte sie noch, er werde in einem Eimer gesperrt. Seltsame Sitten gibt es hier. Ich kann nicht beurteilen, ob das in ganz Bulgarien so gelebt wird, oder nur in dieser Region. Wenn Kinder so sozialisiert werden, könnte ich mir vorstellen, dass es sich auf die Mentalität der Menschen auswirkt. Bulgarien ist hoch korrupt. Die EU hat die Zuzahlung für Infrastrukturhilfen beendet, da das vorherige Geld “verschwunden” ist. Im Fernsehen hat vorgestern einer gesagt, dass es Bulgariens Problem sei, dass die Menschen faul seien, und zu wenig Verantwortung übernehmen könnten. Ob man hier sich Freunde macht, wenn man sowas sagt weiß ich nicht. Es deckt sich aber nur bedingt mit meinen Beobachtungen. Faul sind die Leute nicht. Die schuften zum Teil wie Blöde. Nur ist es wie mit allem… mit Mühe allein kommt man nicht weiter. Es geht darum, dass der Tank auch morgen voll sein muss, damit das Auto läuft. Es fehlt die Präzession, das Know How, es herrscht eine “das wird schon irgendwie passen” Mentalität. Also die Verantwortung, auch über die gegenwärtigen Bedürfnissen zu stehen, und das Große und Ganze zu erfassen. Dass man die Hand nicht beißen darf die einen füttert leuchtet den Deutschen irgendwo ein. Dass die EU seine Gelder einfriert hat einen katastrophalen Flurschaden ausgelöst.
Die Politik reagierte mit Antikorruptionskampagnien. Aber wie hat es ein bulgarischer Intellektueller mal gesagt: Auf die Frage warum das postkommunistische Bulgarien es immer noch nicht geschafft hat sich von der Korruption zu befreien sagte er, man könne keinen neunen Puff mit alten Huren aufmachen. Erst wenn die politische Kaste sich erneuert hat, dann wird hier Neuland betreten werden können.
Was ich gut finde ist, dass die Polizei der Anarchie auf den Straßen Herr werden möchte. Eine hohe Kontrolldichte und immer wieder Unfallwracks, denen man ansieht, dass darin niemand hat überleben können, formen hoffentlich eine neue Sicht auf die bisher negativ besetzten Werte wie Ordnung (=Staat) und Gesetze. Auch hier hat man vermutlich erkannt, dass man über das Auto die Geisteshaltung den Bulgaren am besten neu ausrichten kann 😉 .
Es Grüßt
Christoph