Äthiopien (Teil 2 von 5)

Ich fühle mich hier pudel wohl. Sicher, einiges ist sehr ungewohnt und auch sehr extrem. Der Verkehr ist ein großartiges Beispiel dafür, dass kein plan auch zu Ergebnissen führt. Über Jahrzehnte hat man verpass die Infrastruktur an die schnell wachsende Zahl von Autos anzupassen, und nun macht man alles auf einmal.

An den Autos erkennt man, in welche politischen Wandel dieses Land durchgemacht hat. Ich nenne es den Automobilitäts-Polsys-Nexus. Äthiopien, das ist das einzige Land Afrikas, das nie kolonialisiert wurde. Dir Italiener bekämpfte man erfolgreich in den 30er Jahre, die einige Jahre Addis besetzt hielten  – Italien ist das einzige Europäische Land, das vor dem 2. Weltkrieg einen Kolonialkrieg verloren hat. Das Kaiserreich unterhielt seit den 1870er Jahren beste Beziehungen zu Deutschland. Erst Wilhelm der II wollte ja Kolonien, vorher hatte man sich da raus gehalten, und das machte die Deutschen aus Äthiopischer Sicht besonders Vertrauenswürdig.

Kaiser Hailie Selassie wurde 76 von Kommunisten gestürzt und er und seine Familie ermordet. Die Kommunisten hielten beste Beziehungen zu Russland und natürlich der DDR. In den 90ern befreiten die Äthiopier sich selbst von der Militärjunta und öffneten sich für die Marktwirtschaft und Korruption, auch wenn sie Demokratie dazu sagen.

Und so ist es auch bei den Autos. Die Italiener brachten die Fiat, von denen aber kaum noch welche fahren. Die Deutschen VW Käfer, die hier besonders beliebt sind und noch haufenweise rumfahren. Früher wurde die Polizei komplett mit Unimogs und BMW Motorrädern ausgestattet, davon ist aber nichts mehr da. Die Russen brachten Ladas. Trabbis und Wartburg suche ich vergebens. Heute heißt Mobilität Toyota. Und zwar hauptsächlich Corollas und Landcruiser. Oft sieht man noch die NL Aufkleber, die auf ihr früheres Zuhause hinweisen. Nach dem Motto, ein afrikanisches Auto ist niemals voll, passen in die Kleinbusse (Hiace) bis zu 25 Personen. Gelegentlich sieht man noch Exoten wie VW Busse T1, T2 und T3 sowie Daihatsu und Mazda. Der Zustand ist meist ziemlich mau. Wegen des kreativen Fahrstils gibt ein kaum ein Auto ohne Beulen bzw. das nicht wenigstens einmal neu lackiert wurde. Darüber hinaus kommen die ersten chinesischen Fabrikate nach Äthiopien – hauptsächlich schwere LKW und Baugerät.

In der Hauptstadt stehen die Baugerippe dicht an dicht. Mit Eukalyptusstangen werden Gerüste für 10 Stöckige Häuser errichtet – Stahlgerüste sucht man vergebens. Dieses Holz ist allgegenwärtig. Aus Australien zur Jahrhundertwende importiert, hat es fast alle anderen Pflanzen ausgemerzt. Deren Ätherischen Öle macht das Land um sie herum für andere Pflanzen ungenießbar. In diese Baugerippe aus Stahlbeton werden dann mit Backsteinen Innen- und Außenwände eingezogen. Schnell angemalt und fertig ist ein Hochhaus. Diese Hochhäuser stehen dann oft isoliert und umringt von kleinen Häusern in ihren Gärten, umzäunt von 2 Meter hohen Mauern, gekrönt mit Natodraht. Natodraht ist wie Stacheldraht, nur dass er statt Stacheln, Rasierklingen mit Wiederhaken hat. Die Häuser selbst sind relativ unspektakulär. Hier dominieren Lehmwände und Wellblech. Aber wie bereits beschrieben, werden diese Häuser mehr und mehr verdrängt.

Da Äthiopien nahe dem Äquator liegt, gibt es fast keine Jahreszeiten. Es wird früh hell und früh dunkel, und zwar stockdunkel. Tagsüber ist es warm, nachts ist es kalt. Wir sind hier auf 2.500 Metern Höhe, deswegen ist es angenehm warm, aber die Sonne nicht weniger unerbittlich, gerade für mich mit meinem Winterteint.

Die frühe Dunkelheit, die kalten Nächte, deswegen gibt es wenig klassisches Nachtleben wie wir es kennen. Gestern Abend waren wir in der Partymeile unterwegs. Um mein ethnologisches Herz zu befriedigen, sind wir dahin gegangen, wo die Kulturen auf einander prallen, wo Moderne und das Rurale in kreativen Prozessen sich verschmelzen und etwas völlig Neues und spektakuläres daraus entsteht: Das Hofbräuhaus. Daniel, unser Fahrer wollte unbedingt mit uns dahin. An der Wand hängen authentische deutsche fließen, die den traditionellen Bierbrauprozess in Kupfertanks darstellen. Darauf steht in deutscher Schrift ein Gebet: Hopfen und Malz, Gotterhalts. Daniel erklärt, dass wir unser Bier auf echten Bierfässern stehen haben. Ein kurzer Blick betätigt meinen Verdacht: Es steht auf dem Fass „Chardonnay, France“. Wir bekommen unser Bier in authentischen 6 Liter Plexiglas Röhren, die zur Hälfte gefüllt sind. Daran befestigt ein Zapfhahn. Wir zapfen unser Bier selbst. Es gibt zwei Sorten: Blondy und Ebony. Auf der Karte entdecke ich noch Äthiopische Biere, aber irgendjemand muss dieses 3 Liter Monster Bezwingen, und Mathias hatte sich aus der Affäre gezogen als er sagte dass er kaum Alkohol trinke. Und weil Daniel fährt, lag die Hauptlast auf meinen Schultern – Prost. Ich trinke und trinke und trinke und trinke – ist das etwa alkoholfrei? Nirgends entdecke ich den Alkoholgehalt, ich erinner mich aber an die Ethnografie von Nigel Barley, der beschrieb, dass der Durchschnittsafrikaner bei ihm im Dorf schon nach einer halben Flasche europäischen Biers sturzbetrunken sei. Und dass deswegen Afrikanische Biere traditionell weniger Alkohol hätten. Bestätigen kann ich das nicht. Die Flaschen die ich sah hatten 5,4%, aber Ebony war doch nicht so stark wie ich es von einem dunklen Bier gedacht hätte. Vielleicht 2-3%? Auf jeden Fall aßen die Gäste, unter denen es auch das ein oder andere Bleichgesicht gab, halbe Hähnchen, Burger, Sandwiches, Pizza und andere typisch deutsche Spezialitäten. Während die weiblichen afrikanischen Bedienungen im Dirndl durch das Brauhaus streifen, enttäuschen mich die Herren. Sie haben nur blaue Westen statt der bei Deutschen authentisch-typischen Lederhose und Filzhut mit Gamsbart an. Wie unrealistisch. Und das Dirndl war auch ohne Korsage. Welch ein Skandal!

Ach ja, bevor wir reingehen konnten, wurden wir alle noch gefilzt, meine Tasche wird bestimmt bald nachts glühen, so oft wie die in den letzten Tagen geröncht wurde. Der Rückweg geht durch das Vergnügungsviertel. Es ist Samstagabend, Partytime. Es drängen sich Autos und Taxis durch die Straßen. Auf dem Mittelstreifen reihen sich verschiedenfarbige, blinkende LED Palmen auf, die Häuserfront der Mall blinkt wie ein Stroboskop. Weiter hinten stehen die Prostituierten am Straßenrand und die halbseidenen Nachtklubs locken mit rotem Licht. Wir lassen den Spaß nun hinter uns. Ich habe in nun drei Tagen bis dato vielleicht 8 Stunden geschlafen und wenn immer nur in kleinen Häppchen.

Ich lege mich ins Bett und bin einfach nur weg. Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um 8.45 – wir suchen das Elternwohnhaus von Mathias und finden es. Dort wohnte er von 1960-64. Es wird in den nächsten Wochen abgerissen. Heute ist eine Grundschule darin, die Neubauten daneben sind fast fertig und der Umzug steht bald an. Mathias freut sich wie ein kleines Kind. Die kleinen Kinder drängen sich in den Schulräumen zu 60igst, auf vielleicht 16-20 qm, und zwar da, wo früher ihre Ziegen den Stall hatten. Ich stehe morgen früh um 4 auf um den Sonnenaufgang über Addis zu filmen. Im Anhang könnt ihr nachlesen, was für ein Projekt mich nach Addis führt.

Viele Grüße,

Christoph