Äthiopien (Teil 5 von 5)

Ich sitze hier am Flughafen von Addis Abeba und sehe direkt vor mir den Dreamliner stehen, der mich in zwei Stunden nach Frankfurt fliegen wird. Ich habe nun 10 äußerst ereignisreiche Tage hinter mir. An jedem Tag habe ich jeden Tag wenigstens 10 Stunden gearbeitet, bin von Termin zu Termin geeilt und habe Gigabyte weise gefilmt. Nun ist es an der Zeit ein Resümee zu ziehen. Was habe ich gesehen, hat es sich gelohnt? Und wie! In den letzten Tagen war ich ständig umgeben von Leuten, die Jahre und Jahrzehnte als Kinder oder als Erwachsene um den Erdball, von einer Wohnstation zur anderen reisten. Mathias und ich sind mit einem Strauß voller Ideen über die Entstehung von Identität und Zugehörigkeit bei diesen Menschen und ihren Familien hausieren gegangen. Wir waren in der kleinen Community rund um die deutsche Schule ein Stadtgespräch. Wir haben viele Prominente Leute kennen gelernt, die als Kind an der Deutschen Schule waren. Es ist erstaunlich, welche Karrieren die ehemaligen Schüler der Schule gemacht haben. Thomas Müller ist zum Beispiel Professor für Physik in Karlsruhe und am LHC, wo er mit Wissenschaftlern aus über 60 Nationen arbeitet.

Man muss sich das mal vorstellen. Es gibt Klassenstufen, in denen es lediglich 5 bis 15 Schüler gibt. In der Oberstufe! Ich kann mich nicht erinnern, je in einer Klasse mit weniger als 33 Schülern gewesen zu sein.

Wir wurden mit offenen Armen empfangen. Wir haben mal wieder gesehen, wie überfällig dieser Film ist. Selbst Leute die seit Zwanzig Jahren zwischen Ausland und Deutschland Pendeln haben bestenfalls ein oberflächliches Verständnis über die Auswirkungen des Lebens zwischen den Welten, besonders auf die Kinder. Ich habe mich lange mit Stefan unterhalten, halb Nigerianer, halb Äthiopier, aufgewachsen in den USA, Nigeria und der Elfenbeinküste. Spricht ein halbes Dutzend Sprachen fließend, arbeitet für das Äthiopische Fernsehen und ist unser erster Kunde für den Film. Er war sofort Feuer und Flamme und hat den Film für das Äthiopische Fernsehen angefragt. Denn sehr viele Äthiopische Familien haben Familie im Ausland und fragen suchen nach Antworten auf Fragen, die sie noch gar nicht in Worte fassen können.

Aber was wird mir in Erinnerung bleiben, wenn ich in kürze ins Flugzeug steige? Äthiopien ist ein faszinierendes Land, dessen faszinierendste Seiten ich noch gar nicht kennen gelernt habe. Das Hochland soll sich locker mit dem Grand Cannion messen lassen, die ersten Christen leben seit dem 4 Jh. hier und haben ihre Kirchen in den Felsen gemeißelt. Äthiopien ist die regionale Ordnungsmacht. Alle anderen Länder im Umkreis stecken in schweren Krisen: Nord und Südsudan haben 50 Jahre Bürgerkrieg hinter sich, in Eritrea regiert eine der übelsten Militärjuntas vergleichbar mit Nord-Korea, Somalia ist nicht Mal ein Staat und Kenia ist gefangen in seinen innerstaatlichen Konflikten. Was macht Äthiopien anders? Der kleptokratische Staat hat hält das Gewaltmonopol. Die anderen Volksgruppen sind im eisernen Griff der Amharen. Alles was zu Geld zu machen ist, bleibt in staatlichen Händen, und der Staat wird den Teufel tun und diese Bereiche zu Privatisieren oder für Investoren zu öffnen. Da merkt man, dass Äthiopien nie kolonisiert wurde. Telekommunikation, Flugindustrie und andere umsatzträchtige Branchen sind komplett staatlich. So kann es auch spielend leicht seine Grenzen kontrollieren. Wer kommt rein und raus, wer telefoniert mit wem. Praktische Informationen für ein autokratisches System. Allein in den letzten Jahren hat sich die Anzahl der Mobilfunkteilnehmer mehr als verdoppelt. Dafür wird von jedem SIM Karten Käufer ein Foto gemacht und der Pass eingescannt. Wie praktisch… denn Äthiopien ist als eines der wenigen Christlichen Länder Norden Afrikas enger Kooperationspartner der USA. Aber genug von Wirtschaft und Politik.

Die Äthiopier sind ein sehr herzliches Volk, das viel Wert auf kooperative Konfliktlösung legt. Das Gesicht darf niemand verlieren. Gleichzeitig übernehmen gerade im öffentlichen Dienst die Leute wenig Verantwortung. Sonst gilt man leicht als „Politiker“. So mussten wir für eine Drehgenehmigung am Flughafen sieben Hierarchiestufen hoch – Stufe für Stufe. Dann sollte das Ministry of Communication das Ministry of Foreign Affairs auffordern, bei der Botschaft in Berlin unser Filmvorhaben zu überprüfen. Dumm, dass wir in Frankfurt unser Vorhaben eingereicht haben. Auf die Antwort warte ich nach wie vor. Eventuell werden meine Enkel die Genehmigung erhalten. Die Einheimischen sagen uns, wir seien noch nicht hoch genug in der Hierarchie. In Frankfurt am Flughafen hat mich das eine Email an die PR Abteilung gekostet. Was mich auch wundert, das Äthiopische Fernsehen filmt ebenfalls das 60jährige Jubiläum. Sie haben nagelneue Sony PMW 750. Die kosten das Stück über 20.000 Euro. Sie haben die Kameras auf DVCAM eingestellt, also Standard Definition. Das Gespräch bestätigt was ich zu glauben meinte: Die haben keine Ahnung was die da spazieren tragen.

Wir sehen auf der Feier Munit und Jörg. Sie ist eine großartige Künstlerin, Jörg ist ehemaliger Musiklehrer an der Schule und nach 8 Jahren Äthiopien jüngst nach Hessen gezogen. Er tut sich unheimlich schwer in Deutschland und meinte, er sei in Tränen ausgebrochen als er wieder nach Addis kam. Ich spüre wie all die Menschen ihre alte Heimat vermissen. Typisch Deutsch versucht man die Leute durchs Programm zu peitschen, doch früh erkennen die verantwortlichen, die über 100 Alumni wollen nur reden, reden, reden. Ich lerne viele Menschen kennen, deren Lebensläufe genauso zerrissen sind wie der meine – ich hatte ja 11 Schulwechsel und einen ins Ausland, nämlich der Pfalz. Am Ende der Reise bin ich wieder froh nach Deutschland zurück zu kehren. Ich habe die komplette Zeit ohne Pause durchgepowert und nun gar keine Lust mehr, länger zu bleiben. Die Festplatte quillt über voller unverarbeiteter Eindrücke, langer Recherchen, intensiver Gespräche, zahlloser Lebenswege die Kinder um die ganze Welt führen. Ich spüre, wie ich jetzt mal ein paar Tage Pause brauche um die Eindrücke zu sammeln und zu sortieren.

Eines bleibt. Jetzt, zum Ende der Reise wird mir nochmals klar, was das Leben als Weißer in Afrika so besonders macht. Ein Spiegelartikel aus einem der letzten Jahre soll gelautet haben, „In Deutschland ein Würstchen, in Afrika ein Fürstchen“. Eine Haushaltshilfe in Addis kostet etwa 80 Euro pro Monat. Wenn ich den Berichten mancher Gesprächspartner Glauben schenken darf, dann meckern zahllose Expats mit dicken Westgehältern über die mangelnde Demokratie in Afrika. Aber um mal biblisch zu werden, die suchen den Spreißel im Auge des anderen, und sehen den Balken vor dem eigenen Auge nicht. Eine Mutter suchte jüngst nach einem weißen Babysitter, denn ihre Kinder hätten keinen Respekt vor Schwarzen. Woher das komme, das ist klar. Es wird vorgelebt. Wer seinen Angestellten einen Hungerlohn gibt, behandelt ihn möglicherweise auch wie ein Bettler. Und das übernehmen selbstverständlich auch die Kids. Der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass die meisten Eltern das reflektieren und ihre Angestellten entsprechend respektvoll und freundschaftlich behandeln. Doch das Hierachiegefälle lässt sich auch vor den Kindern nicht verbergen.

In den meisten Häusern gibt es extra Räume, Küchen und Plumpsklos für die Angestellten. Man leistet sich einen Nachtwächter statt einer Alarmanlage. Aber vielleicht machen wir was falsch. Hier in Addis sind es die (deutschen) Migranten diejenigen, die von dem einheimischen Lohnniveau profitieren. In Deutschland arbeiten die Migranten im niedriglohnsektor.

Die Erfahrungen hier sind für mich Gold wert. Schon nach ungefähr 5 Tagen sehe ich keine Haufarben mehr. Egal wo ein Kind seinen Mund aufmacht, es kommt ein erstklassiges und akzentfreies Deutsch heraus. Und wenn nicht, dann ist es Fränkisch oder Schwäbisch. Diese Erfahrung ist sehr hilfreich, denn in meiner Lebenswelt ist eine dunklere Hautfarbe immer noch eine Ausnahme. Der Spirit der Deutschen Schule versprüht das Gefühl, dass hier bald einige junge Menschen hervorgehen werden, die die Geschichte dieses Landes nachhaltig verändern werden.

Viele Grüße, Christoph