Indien (Teil 9 von 12)

Nach der anstrengenden Reise in den Himalaya können wir etwas ausspannen und das Material sichten. Viel Licht und viel Schatten. In den Höhenlagen scheint die atmosphärische Strahlung den Chip der Kamera zu beeinflussen. Für zukünftige Drehs in diesen Höhenlagen müssen wir die Kamera abschirmen. Die Bilder haben ein leichtes Flimmern bzw. Flackern. Hoffentlich bekommen wir das wieder raus. Heute möchte ich über die kleinen und feinen Unterschiede hinweisen.

In Indien tragen fast alle Leute eine Anzughose und ein Hemd. Die Hemden haben ein breite Reichweite an Mustern. Die Schnitte sind nahezu identisch. Kurze Hosen sind Tabu, Bauchfrei ebenfalls. Nur die dummen Touris kaufen sich Indische Unterhosen ohne darüber ein langes Gewand zu tragen. Aus indischer Sicht laufen die nackt herum. Die Männer Tragen Kurzhaar Frisuren, mit Ölen oder Pomade veredelt, Frauen laufen züchtig mit Pferdeschwanz umher. Die Herren frisch rasiert oder mit Oli (Oberlippenbart). Selten tragen Männer einen Vollbart.

Wenn die Damen auf dem Motorrad hinten drauf sitzen, dann sitzen sie im Damenreiterstil auf dem Rücksitz. Es ist nicht unüblich, kleine Kinder ab zwei Jahren auf einem Motorrad, Fahrrad oder Roller mit zu nehmen. die sitzen dann direkt hinter dem Lenker. Selten habe ich Familien mit mehr als fünf Personen auf einem Motorrad gesehen. Ist das zu gefährlich? Nun, aus deutscher Sicht ist alles Gefährlich und es liegt in der Natur des Deutschen, sich gegen alle Lebensrisiken absichern zu wollen. Ob das ein Helm ist oder die Lebensversicherung, Impfpass oder abgezäunte Kinderspielplätze. Wir sind Sicherheitsfanatiker! Und der Staat soll das Abdecken, was der Mensch oder die Spiritualität nicht zu leisten vermag. Hier spielen Kinder ab drei Jahren direkt an Hauptverkehrsstraßen. Gut, der ein oder andere wird gelegentlich überfahren, dafür ist die Geburtenrate aber deutlich höher. Indien ist das jüngste Land der Welt.

Gleichzeitig ist selbst im entlegensten Himalaya an den Straßen die Bevölkerungsdichte ziemlich hoch. Man hockt aufeinander rum und das zu bewirtschaftende Land reicht nicht für die Subsistenz. Daher zieht es viele aus dem Ländlichen Raum in die Städte. Die platzen aus allen Nähten. Keiner weiß genau wie groß Städte wie Bombay, Kalkutta oder Delhi wirklich sind. Zu viele unregistrierte Menschen gibt es hier. Die arbeiten im Niedriglohnbereich und hausen oft in Slums. Ohne befestigte Straßen, keine Kanalisation, in Plastikplanenzelten oder Wellblechbaracken. Nachts sehe ich viele Rikshafahrer, die in ihren Gefährten übernachten. Das Geld das sie verdienen geht an ihre Familien in den Dörfern. Nicht nur Inder arbeiten hier, es gibt auch Gastarbeiter aus Nepal und anderen Nachbarländern.

Wenn ein Inder nein sagen möchte sagt er „ne“ und schüttelt den Kopf wie wir es tun würden. Meint er ja, so wackelt er mit dem Kopf, liebevoll „Indian Headwobble“ genannt. Das kann aber auch „ich weiß es nicht“ oder „vielleicht“ heißen. Nicht so einfach das zu verstehen ist. Was auch ein kleiner Unterschied ist, dass jede Abbildung einer Gottheit auch gleichzeitig die Gottheit ist. Deswegen malen beispielsweise in Bombay viele Hausbesitzer die Bilder von Buddhas, Jesus und Hindugottheiten an die Mauern, damit die Leute nicht dran pinkeln. Wenn nun jemand Flipflops oder Unterhosen mit aufgedruckten Gottheiten trägt, dann beleidigt er die Gefühle der jeweiligen Gläubigen. Denn Füße gelten als unrein, man tritt dem Gott ins Gesicht oder reibt sein Genital an ihm. Apropos Genital, immer wieder fällt es mir auf, wie die Herren der Schöpfung ungeniert durch die Hose an ihrem besten Stück kraulen. Die Damen sollten sich davon nicht irritieren lassen, meistens hat das nichts mit ihnen zu tun.

Preise gibt es so gut wie nie an den Produkten. Es wird grundsätzlich gehandelt. Je mehr Ware ein Händler hat, je tiefer kann man ihn drücken. Als Weiße bekommen wir auch immer einen Sonderpreis, der so vermute ich, mehr als das Doppelte ist dessen, was einem Einheimischen abgenommen wird.

Manchen als gegeben geltenden Verhaltensweisen hinterfrage ich ständig auf dieser Reise. Ist der „deutsche“ Weg immer der Richtige. Oder können andere Völker in bestimmten Feldern doch die besseren Lösungen haben? Befragt man die Inder, so können diese einer arrangierten Ehe viel abgewinnen. Eine „Arranged Marrage“ steht der „Love Marrage“ diametral gegenüber. Liebe ist vergänglich, eine Ehe klassischer Natur nicht. Diese wird von der Familie getragen und ihr Erfolg ist Aufgabe der Gemeinschaft, und nicht der Liebenden. In diesem Fall sind es die Inder, die ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis haben. Ist es eine Ironie des Schicksals, dass wie Deutsche alle Risiken des Lebens aussparen wollen, nur die einer Beziehung nicht? Kann man sich gegen Scheidung versichern?

Wie steht es mit unserer Effizienzgeilheit, unsere Liebe zum Detail? Wer kann denn heute noch ein neues Auto selbst reparieren. hier sehe ich Mechaniker, die in liebevoller Kleinarbeit per Hand Motoren und Getriebe flicken. gut, deren Körper sind dann nach dreißig Jahren Plackerei verbraucht. Unsere Haushälterin Bügelt auch im knien, ein korrekter Arbeitsplatz müsste mindestens Hüfthöhe haben und die Frauen die über die Berge Grass tragen sollten das dann doch mit orthopädischen Gesundheitsschuhen machen statt mit Badelatschen. Aber es funktioniert. Wer immer von sich selbst Argumentiert, hat andere Bedürfnisse. Siehe Stuttgart 21. Viele Leute hier hätten gerne einen neuen Bahnhof. Insgesamt wäre überhaupt mal eine Zuganbindung eine tolle Sache. Das bringt den 90% Arbeitslosen in den Berggebieten eine Perspektive. Eine Lösung scheint der Alkohol zu sein. Alkohol ist keine Lösung, das ist Milch aber auch nicht.

In diesem Sinne,

Christoph