Indien (Teil 5 von 12)

Am nächsten Morgen geht um 5 Uhr morgens in Richtung Pogri los. Der Weg ist beschwerlich, der Zustand der Straßen zunehmend schlechter. Dann kommen wir nach Srinagar, eine Stadt mit 120.000 Einwohnern und einer Volluniversität. Diese besuchen ca. 30.000 Studenten. Also ähnliche Verhältnisse wie in Heidelberg, nur tausend Meter höher und ohne Autobahnanbindung. Auf den Straßen tummeln sich die Leute. Hier ist ein großer Warenumschlagplatz und die Busse spucken minütlich Menschen aus die sich in Jeeps verteilen, um auf die Dörfer zu kommen.

Weiter geht es nach Pogri, und da ein Stück der Überlandstraße abgerutscht ist, im wahrsten Sinne des Wortes, müssen wir eine Alternativstrecke wählen. Diese führt uns einen besseren Eselspfad in die Berge hoch. Statt wie sonst 3,5 Stunden werden wir derer sechs benötigen. Die Straße ist in einem noch miserableren Zustand als die Anderen.

Die Straße ist an manchen Stellen nur halb so breit wie sie sein sollte, da die fehlende Hälfte mehrere hundert Meter tiefer liegt. Wie ein Apfelschnitz, dem ein Stück ausgebissen wurde fahren wir an dessen Grat vorbei. Teilweise ist die gesamte Straße einfach nur abgesackt. Diese hat sich mit Geröll und Schlamm gefüllt. Mit großem Geschick manövriert Sanjeev das Auto durch diese Unwägbarkeiten.

Gelegentlich setzt das Auto auf oder die Stoßdämpfer schlagen durch. Belohnt werden wir mit unglaublich ausblicken in der Landschaft und Einblicken in entlegene Dörfer des Himalaya. Trotz der Höhe ist es schön warm. Deswegen liegt die Baumgrenze nicht wie in der Schweiz bei 800 Metern, sondern bei geschätzten 1800 Metern. Praktisch die gesamten Täler sind kultiviert, Terrassenbau ist die erste Wahl der Bauern hier.

Immer wieder sehen wir Arbeiter beim Ausbessern der Straßen. Um es kurz zu machen – Alles Handarbeit. Felsen die zu groß sind um sie wegzurollen werden mit einem Hammer zerschlagen. Mit Schaufel und Besen werden Tonnen an Schutt und Geröll weggeschafft.

In Pogri angekommen werden wir von einer Bauernmesse überrascht. Das Dorf ist voll, ein paar Minister haben wohl unsere Hotelzimmer „übernommen“ und wir gehen in ein Guest-House. Immer wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, dann kommt es schlimmer. Ich habe mich selten so geekelt wie in dieser Nacht. Über allem schwebte dieser Fäkalgeruch und weil die Inder wohl mit Klamotten schlafen, wechseln sowohl sie, als auch die Hotels die Laken und Kissenbezüge nur halbjährlich. Die Decken muffelten wie eine verwester Waschbär und die Matratze war ganze 2 cm dick. Darunter ein Holzbrett.

Die Dorfbewohner lassen es ordentlich krachen. Abends kommt der sternhagelvolle Hotelbesitzer mit einem halbvollen Flachmann Billigfusel Whiskey und möchte uns mit verklärten Blick einladen, mit ihm zu trinken. Ich erkläre ihm, dass ich das aus religiösen Gründen keinen Alkohol zu mir nehmen darf. Er versteht das und torkelt wieder nach draußen. Vorher dankt er mir von Herzen, dass wir in seinem „Hotel“ übernachten.

Wir drehen beim ehemaligen Vermieter unseres Protagonisten. Er hat zwei Frauen, keiner weiß so genau wie und warum, und hat sein Haus geteilt in zwei Hälften. Für jede Frau und Familie eine. Die in der wir drehen hat zwei Zimmer. Dort wohnen die drei Kinder, die Mutter und oft auch er. Ein netter Mann der auch noch im Film zu sehen sein wird. An der Wand hängt ein spaciges Bild von ihm aus dem Jahr 1976. Es ist einen Shakrenphotografie. Eine nachkolorierte Fotografie mit Strahlenförmigen Kranz hinter seinem Haupt. Sehr witzig und grün. Wir gehen nun schlafen. Ich habe Angst vor meinem Zimmer und ein Hund wird mir die Qual dieses Zimmers länger zumuten, da der erlösende Schlaf nicht kommen mag. Aber wenigstens regnet es nicht rein.

Die Unglaublichkeit der Landschaft lässt mir wieder mal bewusst werden, wie klein und nichtig der Mensch ist im Spiel mit den Elementen. Wasser und Erde spielen mit den Menschengeschaffenen Bauwerken wie Spieler mit Würfeln. Die Endlichkeit des Geschaffenen wie der eigenen Existenz, so vermute ich, fördern den Glauben an Götter und Geister, denen man scheinbar hilflos ausgeliefert ist. Religion in dieser dörflichen Gemeinschaft ist tiefer verwurzelt als ich es jemals gesehen habe. Die Ernsthaftigkeit mit der selbst einfache Abendrituale durchgeführt werden habe ich selbst noch nie erlebt.

Der nächste Morgen belohnt uns mit einem unglaublichen Sonnenaufgang mit dem Himalaya am Horizont. Es scheint als wäre es so gewollt gewesen, den Umweg zu fahren und die unglaubliche Landschaft mitzunehmen. Nun ist die große Straße wieder frei. Für uns Zeit in das Kerngebiet von Karin Polits Forschung aufzubrechen. Mit ihr sind wir unterwegs und für sie werden wir auch für weitere Projekte Aufnahmen machen, hier im Himalaya.