Indien (Teil 4 von 12)
Da ich nun ein paar Tage im tiefsten Himalaja verbracht habe kann ich erst jetzt wieder im Internet posten. Am Morgen des 22.10 sind wir Richtung Deradun aufgebrochen, der Hauptstadt Garwhals. Dennoch waren die letzten Tage so ereignisreich, dass ich das niemandem vorenthalten möchte. Daher untergliedere ich den Post in einige zeitliche und inhaltliche Kapitel.
Die Schuhe
In Neu Delhi in einem unterirdischen Markt nahe des Connought Platz sehe ich Chucks für 20 Euro. Aber ich will sie natürlich in meiner Größe. Was für ein Unterfangen! Ich spreche den Händler an, der Fragt seinen Assistenten und der Schickt den seinen in den Speicher. Das muss man sich so vorstellen. Der Laden hat eine Grundfläche von etwa 6 qm und eine abgehängte Decke. In der Abgehängten Decke ist das Lage untergebracht – mit 70 cm Luft nach oben. Da kauert nun der Unterassistent und gibt ständig falsche oder unpassende Schuhe runter. Schnell wird mir und dem Händler klar, dass er keine Schuhe für mich hat. Schwarze will ich nicht, und die Mädchenschuhe die er mir zeigt auch nicht. Hecktisch wird im Hintergrund von anderen Händlern Ware angeschafft, die ich auch mögen könnte. Dem Mann oben in der abgehängten Decke ruft der Chef zu, er solle so tun als ob er suche. Welch ein Glück das Frank Hindi kann. Auf jeden Fall war die Show die Warterei wert und wir ziehen weiter.
Der Profi
Nun wird es ernst. Nach der Akklimatisierung möchte ich Nägeln mit Köpfen machen. Es gibt einige Fixtermine die uns zwingen spontan in den Himalaya nahe der Tibetischen Grenze zu fahren. Die Züge sind erwartungsgemäß ausgebucht, so nehmen wir ein Taxi. Für eine Nachtfahrt findet sich kein Fahrer, da es auf der Strecke Banditen gibt. Auf Empfehlung unserer Vermieterin nehmen wir einen Taxifahrer, Sanjeev Kumar. Um 5.15 steht er auf der Matte und los geht es nach Deradun, welches wir nach 6 Stunden erreicht haben werden (ca. 350 Kilometer). Die Fahrt ist heftig, im Grunde gibt es hier keine Autobahnen, sondern nur Landstraßen, die gelegentlich zweispurig werden. Links und rechts davon kleine Läden und Werkstätten.
Gelegentlich auch Kühe, die sich mit Müll oder Spenden die Bäuche vollschlagen. Diese Straßen teilen sich Rikschas, Fahrräder, LKW, Autos, Mofas und Motorräder. Da gibt es eine Klare Hierarchie. Die Motorräder, Roller und Fahrräder sind die Schmeißfliegen der Landstraße. Wenn ein Auto oder LKW Hupt, dann heißt das „Platz da, hier komme ich“. Rücksicht ist hier ein Fremdwort. Es wird geheizt was das Zeug hält. Unser Fahrer meistert das sehr souverän. Er fährt wie eine Maschine und verzieht dabei keine Mine. Ein Profi eben. Er fährt einen sieben-sitzigen Toyota mit Bullenfänger vorne und Seitenschwellern, falls mal doch ein Radfahrer es nicht schafft rechtzeitig auszuweichen. Menschenleben zählen hier nicht so viel. Sich um Profanes wie Leib und Leben zu sorgen erscheint mir mal wieder eine urdeutsche Eigenschaft zu sein. Wie sonst erkläre ich mir ein so überversichertes Volk.
Der erste Drehtag
Wie auch immer. In Deradun folgen die ersten Filmaufnahmen. Unser Protagonist soll für die Forschung über sich verändernde Jugendrituale in Indiens Mittelschicht stehen. Der Protagonist ist als Junger Mann nach Delhi gekommen und ist mit Individuellen Freiheiten wie freie Partnerwahl konfrontiert worden. Seine Freundin hätte er gerne geheiratet, aber das wäre gegen die dörflichen Regeln. Nun versucht er vereinfacht gesagt seit vier Jahren seine Mutter davon zu überzeugen, der Heirat einzuwilligen. Wer nun die Arrangierte Ehe verdammen möchte sollte bedenken, dass sie auch soziale Sicherheit bietet. Zum einen wird das Scheitern einer möglichen Ehe nicht zulasten der Ehepartner gehen, sondern die Familie trägt die Bürde gemeinsam. Des Weiteren haben diejenigen, die sich gegen das Arrangement entscheiden mit Sanktionen zu rechnen. Viele Bollywood Filme haben solche Umstände zum Thema. Diese zwei konträren Welten, die dörfliche Kommune und die neue urbane, hyperindividualisierte Mittelschicht gilt es filmisch aufzuzeigen. Und hier, mitten im Himalaya, werden wir sein Geburtsdorf finden und seine rituellen Wurzeln suchen. Das sind weitere 6 Stunden Fahrt, von denen wir 2 schon heute Abend hinter uns gebracht haben.
Fear and Loathing in India
Der arme Sanjeev war nach der Fahrt ganz schön fertig, und bei Nacht die Passstraßen hochzufahren fordert seine ganze Konzentration. Irgendwann geht es nicht mehr. Er fährt links ran und wir suchen ein Hotel. Die Regengüsse der Letzten Wochen, die auch für die Unglaublichen Überschwemmungen in Pakistan verantwortlich waren, haben die Berghänge aufweichen und abrutschen lassen. Die Straße ist meist an den Abrutschstellen nur rudimentär geräumt. Große Felsbrocken liegen noch auf der Straße oder es gibt nur einspurige Rinnen durch die Erdmassen. Und dass ist eine der meist befahrenen Pässe Indiens. Er führt nämlich zu einer Quelle des Ganges, zu der jeder Hindu einmal im Leben gereist sein möchte. Zudem führt die Straße nach Tibet und ist eine wichtige Handelsstraße. Da eine wichtige Handelsstraße seit zwei Wochen gesperrt ist, gehen in den Dörfern und Städten dahinter Reis und Petroleum aus. Über die kleinen Ausweichstraßen kommen die LKW nicht drüber. Eine ganze Region steht still.
Das Hotel in dem wir wohnen ist durch und durch billig. Wir zahlen für drei Zimmer 700 Rupien, das sind um die 11,50 Euro mit Abendessen. So sieht es aber auch aus. Im Klo war noch die Pisse des Vorwohners und die Kissen sind schon Grau meliert. Mit Mühe bekommen wir erst nach mehreren Anläufen den Wirt dazu die Kissenbezüge zu wechseln. Das versaute Laken bleibt. Sagrotan bleibt mein bester Freund in Indien. Nun sitze ich in diesem Zimmer, es ist kalt und kein einziges Fenster schließt richtig. Ach ja, eines fehlt. Aber wenigstens regnet es nicht rein…