Finnen gelten als still. Das konnte ich mehrfach bei meinen Reisen und bei meinen finnischen Studienkollegen beobachten. Längere Pausen in Gesprächen sind selbstverständlich. Wie es im Land selbst ist, konnte ich mir nicht vorstellen. Nach zwei Tagen habe ich ein klareres Bild gewonnen. Es scheint, als wolle man jedwede Energieverschwendung vermeiden. Keine Bewegung, keine Geste zu viel. Alles zurückhaltend und überlegt. Das Äußert sich für einen Mitteleuropäer mit italienischen Wurzeln auf eine sehr schräge Art und Weise. In der Straßenbahn herrscht weitestgehend Stille. Selbst wenn sie zu 2/3 gefüllt ist, könnte ich draußen den Schnee rieseln hören. Kommunikation scheint auf die Funktion reduziert zu sein. Ich frage mich, ob es an der schwierigen Sprache liegt. Auch wenn Ethnologen einen Zusammenhang zwischen Sprache und kulturellen Dispositionen annehmen, scheint diese Theorie in dem Wissen, dass 98% der Bewohner Abitur haben und ein Drittel der Abiturienten studieren, dann doch zu gewagt. In Geschäften wird man nicht begrüßt und ein Auf wiedersehen bekommt man nur zurück. Ein Schwätzchen mit einem Fremden grenzt an einen Tabubruch. Zum Lachen geht man in den Keller. Liegt es an dem Winter oder gar an mir? Da meine Erfahrungswerte von anderen Nichtfinnen geteilt werden, scheint ja schon was dran zu sein. Diese ganze Gesellschaft scheint sich nicht nur im Möbeldesign und in der Kommunikation auf die reine Funktion zu reduzieren. Sogar Häuser haben keine Hausklingel. Wer sich nicht verabredet hat, hat keine Chance (außer über ein Mobiltelefon) ein Haus zu betreten. Wenn im Winter alles kalt und Dunkel ist, spielt sich das Leben zuhause oder wenigstens innen ab. Das merkt man an der Auswahl der Ladengeschäften. Es gibt vielen Platten und HiFi Läden, Galerien und Einrichtungshäuser. Elektronik scheint allgegenwärtig zu sein. Ein Wunder dass dieses Volk noch nicht ausgestorben ist. Doch einen Katalysator scheint es zu geben! Alkohol. Ähnlich wie bei den Japanern, die einem bunten Strauß an strengen Verhaltensregeln unterliegen, die stark von ihrer Position und dem sozialen Rahmen abhängen, ist Alkohol das gesamtgesellschaftlich akzeptierte Ventil um aus den Alltagskorsett auszubrechen. Eines könnt ihr mir glauben, sie sind durch die Bank sehr trinkfest (auf das Thema Skandinavien und Alkohol möchte ich hier nicht eingehen…). Und wenn in den wenigen Sommermonaten das Leben auf den Straßen und auf dem Lande explodiert, wird ab Midsommer durchgefeiert. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass ich in der falschen Jahreszeit hier bin. Wenn ich alle Sommerangebote aus dem Reiseführer plus die Museen rausnehme, bleiben noch drei Kirchen und eine Festungsinsel übrig. Die Felsenkirche ist sehr spektakulär mit viel Liebe, Sprengstoff und Beton in den Granit unter der Stadt gebaut.

  • In den ehemaligen Kasernen leben 800 Menschen

  • Buchenholz eignet sich am besten um eine Sauna anzuheitzen

  • Die Küstenbatterie sollte Finnland vor den Russen schützen – vergebens

  • Kleine und große Geschütze gibt es einige zu bestaunen

  • Eingang zu einem Munitionsbunker

  • Ehemalige Geschützstellungen

  • Alles ist vergänglich

  • Schiffe auf dem Weg nach Helsinki müssen durch diese engen Inseln fahren

  • Zwei rotzfreche Jungs quatschen mich an. Als ich ihnen sage, dass ich sie nicht vertehe, lachen sie mich aus.

Nicht nur die Architektur ist sensationell. Als ich ankomme, spielt ein Pianist und lädt zum verweilen ein. Die Akustik ist unglaublich. Ich entspanne am anderen Ende der Kirche und lausche den Klängen, dem Zirpen der Kameraverschlüsse und dem Getuschel der chinesischen Besuchergruppe. Irgendwann sehne ich mich nach Stille und beginne ein Gespräch mit einem Finnen. Wir Schweigen über den Weltfrieden, das Universum und den ganzen Rest.

  • Der Felsendom

Ich gehe zum Hafen und steige in die Autofähre nach Suomenlinna. Über die Festungsinsel kann ich nicht viel sagen. Es gibt sie und es ist ganz nett. Insgesamt ist Helsinki nett. Es gibt hier durch die russische und schwedische Fremdherrschafft einen großen Mix an Stilen, von Orthodoxen Kirchen über klassizistische Prachtbauten und barocke Häuserfassaden. Besonders schön finde ich die Cafés in den Parks im Jugendstil und die seltenen mehrstöckigen Holzhäuser mit Pagodendächern. Schade dass kein Schnee liegt, sonst wäre es etwas heller und noch netter als es ohnehin schon ist. Wirklich tief konnte ich in diese Stadt nicht eintauchen. Dafür hatte ich zu wenig Gelegenheit hinter die Kulissen zu sehen. Richtig schön an Finnland soll auch eher das Land, die facettenreiche Flora und Fauna, das Samengebiet im Norden und die unzähligen Seen mit kleinen Hütten und eigener Sauna sein. Ein bis zwei Tage in Helsinki sind erst mal völlig ausreichend, ich habe das Gefühl mich ganz gut zu Recht zu finden.

Das ist für mich genau der Richtige Zeitpunkt, um die Koffer zu packen und weiter nach Estland, in die Hauptstadt Tallin zu fahren. Zwei Fährstunden von Helsinki entfernt schreibe ich Euch vom Passagierdeck aus. Um mich herum Monitore mit Sportevents und dudelnde Spielautomaten. Und ich habe keine Ahnung was mich erwartet.

  • Ein wunderschönes Holzhaus auf einer Insel nahe des Hafens

  • Es gibt eine Hipster Slow Food Kette mit dem Namen Pupu 🙂

  • Eine von der russischen Besatzungsmacht gebaute Kirche in dem weitestgehend protestantischen Finnland